Die Therapie von Kindern, die zu uns bereits mit fertiger Kinderlähmung kommen, ist deutlich komplizierter als bei Kindern, die durch eine ZKS bedroht sind. Je älter die Kinder und je schwerer die Behinderung, desto schwieriger ist es, ihren Zustand zu verändern. Mit größeren Kindern kann man keine so intensive Therapie wie mit Säuglingen durchführen. Mit Säuglingen wird die VM2G-Stimulierung meistens viermal am Tag durchgeführt. Bei größeren Kindern muss man meistens mit einer Therapie einmal täglich auskommen. Die Petrifizierung pathologischer Bewegungsstereotypen und der damit verbundene allmähliche Anstieg der Gelenksubluxationen und die Abweichungen der Knochenachsen macht therapeutische Erfolge deutlich schwieriger. Trotzdem kann man mit Kindern im Vorschulalter oder im Grundschulalter durch langzeitige und sorgfältig geführte VM2G-Therapie bemerkenswerte Ergebnisse erreichen. Als erhebliche Erleichterung der Abwicklung des gesamten Behandlungsprozesses zeigte sich die Einschaltung von „Haustherapeuten“, die die Familien der betroffenen Kinder entlasten und durch tägliche VM2G-Stimulierung die Kinder zur Verbesserung des Zustandes ihres Bewegungsapparats führen können.
Ökonomische und soziale Aspekte der praktischen Durchführung
der VM2G
Kinderlähmung gehört zu den teuersten chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates im Kindesalter. Vielerlei Kosten entstehen durch direkte medizinische Ausgaben, außerdem fallen auch Sozial- und Transportkosten sowie Ausgaben für medizinische Hilfsmittel an. Weitere, indirekte Finanzfolgen umfassen die niedrige Arbeitsproduktivität der Familie, Ausgaben der Familie und der Verwandten, Ausgaben der psychologischen Betreuung des Patienten und seiner Familie und die zukünftige niedrige oder keine Arbeitsproduktivität des Patienten.
Immaterielle Kosten kann man schwer quantifizieren, denn sie haben auf die Quellen keinen messbaren Einfluss. Dazu gehören Schmerzgefühle und Leid sowie die folgende Senkung der Lebensqualität. Im Vergleich zu direkten Kosten ist es sehr schwer, indirekte und immaterielle Kosten mit Geld zu messen.
Die tatsächlichen, mit der Krankheit zusammenhängenden Kosten umfassen sämtliche, der Gesellschaft entstehenden Kosten, ohne Rücksicht darauf, wo sie entstanden sind oder wer ihre ökonomischen Folgen trägt. Vom Gesichtspunkt der sozialökonomischen Politik handelt es sich um Kosten, die entscheidend sind, denn sie gewähren ein umfassendes Bild über die Gesamtbelastung durch Erkrankungen, die die Wirtschaft tragen muss.
Nach einer Studie von Bode (2001)1 betrugen die nachweislichen, im Laufe des Lebens eines behinderten Patienten entstandenen Ausgaben mehr als 500.000 USD. Die Häufigkeit des Auftretens von Kinderlähmung ist statistisch relativ stabil, in entwickelten Ländern handelt es sich um 2 – 3 Kinder auf 1000 Geburten.
Die Studie „Kosten von Hirndefekten in Europa“ („Cost of Disorders of the Brain in Europe“), durchgeführt und veröffentlicht in den Jahren 2011 und 2012 vom Europäischen Gehirnrat (EBC, The European Brain Council), konzentrierte sich auf Schätzungen der Prävalenz eines breiten Spektrums von Gehirnerkrankungen und auf Schätzungen der damit verbundenen Kosten in verschiedenen Bereichen – vor allem in der Gesundheitsfürsorge, im Bereich der Sozialdienstleistungen und im Bereich des Produktivitätsverlustes.
Der nicht-ökonomische Beitrag der VM2G-Therapie besteht vor allem in der Veränderung des Blickwinkels, wo die Familie als solche ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, und vor allem das Bestreben um die Erhaltung einer hochwertigen Familienbasis bei der Betreuung von Kindern mit einem Gesundheitshandicap. Häusliche Betreuung eines Kindes mit Gesundheitsbehinderung (vor allem langzeitige Betreuung) beeinflusst auf wichtige Art und Weise die Lebensbedingungen der Familie. Vor allem die völlig elternabhängige Rehabilitation des Kindes wird mit zunehmendem Alter des Kindes immer anstrengender. Oft kommt es zum Zerfall der Familie, die durch langzeitige Erschöpfung der Eltern gekennzeichnet ist. Die Entwicklung der Beziehungen in der Familie und die Qualität der Familienbasis betrifft vor allem Kinder – Geschwister des kranken oder behinderten Kindes in der Familie. Die Therapie zielt darauf ab, den Familien, die ein Kind mit Gesundheitshandicap betreuen, ein vollwertiges Familienleben mit allen seinen Freuden zu ermöglichen. Dank der Haustherapeuten, die die Kinder regelmäßig besuchen, können die Eltern ihre Zeit sowohl den kranken als auch den gesunden Kindern widmen und mehr als Familie leben. Der Hauptbeitrag der sozialen Innovation, die die VM2G-Therapie mit sich bringt, ist die Verbindung von Gesundheitsfürsorge mit einem sozialen Schlüsselaspekt.
1 BODE, H. Sozioökonomische Aspekte. In: HEINEN, F. Das Kind und die Spastik. Hans Huber. Bern.
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Sie bringt Zeitersparnis für Familien und Kinder, wenn die Therapie bei ihnen zu Hause, in Schulen oder Kinderhorten durchgeführt wird. Das derzeitige Modell des Besuches von Rehabilitationsanstalten bedeutet sehr oft einen erheblichen Zeitverlust sowohl für das Kind als auch für die es betreuenden Personen. Dies ist Zeit, die dann nicht zur Entfaltung von Freizeitaktivitäten des Kindes, zu seiner Erholung sowie zur Erholung und für Freizeitaktivitäten der Eltern des Kindes genutzt werden kann.
Die Durchführung der Haustherapie mit behinderten Kindern in der Schule und in schulischen Einrichtungen macht auch die übrigen gesunden Kinder mit der Realität einer solchen Betreuung vertraut. So haben sie im Kindergarten und in der Schule die Möglichkeit, die notwendige Betreuung ihrer Mitschüler aus unmittelbarer Nähe zu erleben und werden so natürlich dazu erzogen, wie man sich Behinderten gegenüber verhält, wie man mit ihnen umgeht, und sie lernen, welche Bedürfnisse Behinderte haben. Die Haustherapie, die in einem für die Kinder natürlichen Umfeld erfolgt, vermittelt direkte Erfahrungen, wie man gewaltlos behinderten und gesunden Kindern und Heranwachsenden zur gegenseitigen Integration verhelfen kann.
Bei behinderten Kindern kommt es oft wegen langzeitiger Abwesenheit vom Unterricht zur Störung der Bildungskontinuität. Der Grund sind notwendige therapeutische Aufenthalte in Kurorten oder Heilanstalten, die mind. 4 Wochen und länger dauern. Ein weiteres Problem ist das Pendeln in entfernte Rehabilitationspraxen. Demgegenüber schließt die Haustherapie solche Ausfälle vom Unterricht aus. Dadurch beugt sie dem Defizit in der Bildungsqualität vor und bringt die jungen Leute einem Lehrbrief, dem Abitur oder einem Hochschulabschluss näher. Gute Bildung ist die tragende Bedingung für die Eingliederung in den Arbeitsprozess und für ein erfülltes, vollwertiges Leben. Unsere Erfahrung zeigt, dass ununterbrochene, systematische und beaufsichtigte Rehabilitationsfürsorge die Grundbedingung für die allmähliche Besserung des Zustandes der Patienten ist. Besonders gilt dies für den Ausbau und die Erhaltung eines stabilen Zustandes des Bewegungsapparates. Die Psyche des motorisch behinderten Kindes ist in den meisten Fällen viel anfälliger als bei gesunden Kindern. Hilfe und Unterstützung von Seiten des Haustherapeuten hilft ihnen, allmählich sich selbst und andere in ihrer Umgebung ganz zu akzeptieren. Dadurch wird das Kind natürlich und gewaltlos zur Erlangung einer adäquaten Position im Kinderkollektiv geführt, ohne Frustration und Minderwertigkeitskomplexe. Die langzeitig gebildete, gefestigte und beaufsichtigte Beziehung Haustherapeut – Kind sowie Eltern – Haustherapeut ist eine wertvolle Bindung und ein Mittel, mithilfe dessen Familien und Einzelne Schwierigkeiten und Probleme, die im Leben behinderter Kinder auftreten, einfacher bewältigen.
Video – Adéla
1 BODE, H. Sozioökonomische Aspekte. In: HEINEN, F. Das Kind und die Spastik. Hans Huber. Bern.