Wahrnehmung des Körperschemas
Bisweilen überwiegt die Meinung, dass die Wahrnehmung des Körperschemas Ergebnis allmählichen Lernens ist. Die Bildung einer Vorstellung vom eigenen Körper sollte von sensorischen Erfahrungen mit dem Körper und den damit verbundenen Wahrnehmungen ausgehen. Diese Erfahrungen sollten in der Folge in der Form von sensomotorischen Informationen auf verschiedenen ZNS-Ebenen gespeichert werden. Auf diese Art und Weise wäre es möglich, sich den eigenen Körper und seine Stellung im Raum vorzustellen.
Für die normale und maximal variierte sensomotorische Entwicklung des Kindes ist die Einordnung der Erfahrungen im ZNS dazu notwendig, dass sich das Kind ein komplexes Bild von sich selbst macht. Es bleibt jedoch die Frage, ob die Informationen für die Erstellung eines Körperschemas aus den von außen und von innen kommenden Erregungen durch allmähliches Lernen entstehen.
Meiner Meinung geht es eher um ein schrittweises „Entpacken und Laden” angeborener, bereits fertiger Programme zur sensomotorischen Erstellung eines Körperschemas. Das Programm für die sensomotorische Wahrnehmung ist nur Bestandteil des Grundoperationsprogramms für die Motorik. Dieser Programmteil gewährleistet durch Rückkopplung die Steuerung des Bewegungsapparates. Die Rückkopplung ist Bestandteil jeder Steuerung – auch die Steuerung der Motorik ist von einer dauerhaften, multifunktionellen Rückkopplung der Sensorik abhängig. Ihre fehlerlose Funktionsfähigkeit ist für die permanente Korrektion von Bewegungsabweichungen notwendig. Man kann somit nicht von einem Lernprozess sprechen, der für eine so komplizierte und größtenteils völlig automatisierte Motorik ein nur wenig geeignetes Werkzeug ist.
So wie andere, viel primitivere Steuerungsprogramme einen Rückkopplungsteil der Steuerung enthalten, umfassen auch die äußerst komplizierten Programme des Bewegungsapparates einen Rückkopplungsbestandteil, die Sensomotorik. Der Beweis einer gut angelaufenen und funktionierenden sensorischen Rückkopplungsreaktion ist die Fähigkeit der richtigen Wahrnehmung des Körperschemas. Von einer so bewussten Wahrnehmung können wir erst bei einem Kind sprechen, bei dem die Reifung des psychischen Niveaus der Persönlichkeitsentfaltung und der Separation begonnen hat. Wie vor vielen Jahren Jean Piaget in den psychischen Entwicklungsfunktionen des Kindes beschrieben hat,1 verspätet sich bei Kindern, die keine physiologische Entwicklung des Bewegungsapparates absolviert haben, die Erstellung des Körperschemas deutlich und ist schließlich erheblich deformiert, und zwar direkt proportional zur Störung der Bewegungssteuerung. Ein typisches Beispiel ist die Störung der Stereognosie, also der Fähigkeit, mit dem Tastsinn die Form von Gegenständen zu erkennen.
Das Funktionieren therapeutischer Modelle, die die Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der Kinesiologie nicht allzu sehr respektieren, muss auf die Nutzung der Ebene des reflektorischen Gehmechanismus zurückgreifen.
Diesen kann man frühzeitig nach der Geburt auslösen, und sein primitiver Reflex erlischt bald. Sein Erlöschen ist notwendig, damit er „Platz“ für entwicklungsmäßig höhere Steuerungsetagen macht. Den Gehmechanismus kann man unter spezifischen Bedingungen starten, wobei das Kind in der Vertikale gegen die Schwerkraft gehalten wird und mit dem Stützen eines Beines das Gehen anläuft. Das Halten des Kindes eliminiert die Notwendigkeit der Steuerung der Antigravitations-Stemmmechanismen und die Notwendigkeit der automatischen Steuerung der Körperhaltung.
Das Lauftraining bei Patienten mit Motorikstörungen, meistens der Gehmotorik, in Lokomaten oder anderen Aufhängeapparaten stellt eine sehr ähnliche Situation dar. Dank des passiven Aufhängens des Patienten braucht er keine Steuerung der Antigravitations- und Stemmmechanismen, und der Patient muss somit die Automatik der eigenen Körperhaltung im Raum nicht steuern. Sein Gehen wird vor allem auf spinalem Niveau gesteuert, ähnlich wie beim Neugeborenen beim Gehautomatismus.
Fehlen die grundlegenden „Bausteine“ für die Steuerung der Motorik (Antigravitations- und Stemmmechanismen und die Körperhaltungsautomatik), ist es praktisch unmöglich, bipedales Laufen „einzudrillen“.
„Bipedales Laufen ist ein universelles Grundmuster der menschlichen Lokomotion.“ (Vojta, 2009)2 Seine „Bausteine“ sind Stemm- und Antigravitationsmechanismen, die Körperhaltungsautomatik im Schwerkraftfeld und der Laufstereotyp.
Diese drei Teile sind miteinander verbunden. Sie wurden im Laufe der Entwicklung des ersten Jahres im Rahmen der Entwicklungsontogenese gebildet. Detailliert werden sie von der Entwicklungskinesiologie beschrieben. Auch das therapeutische Denken bei der Behandlung der Störungen bipedaler Lokomotion bei Kindern und Erwachsenen muss davon ausgehen. Die Therapie muss zur Erneuerung aller drei oben erwähnten Bausteine führen.
Stimulierung von Reflexzonen und -punkten im Rahmen der VM2G
Die Stimulierung von Reflexzonen und -punkten, wie sie von Dr. Vojta eingeführt wurde, hat sich bisher bei der klassischen Durchführung der Vojta-Methodik nicht verändert. Die Aktivierung dieser Reflexstellen erfolgt mittels Finger-, Daumen- oder Kleinfingerkante der Hand. Die Zugreizung dieser Zonen wird wiederum am häufigsten mit Fingern, Daumen oder der ganzen Hand durchgeführt.
Diese Art der Stimulierung wird seitens der Patienten, vor allem der Säuglinge, nicht als angenehm empfunden, denn ein länger einwirkender Druck oder Zug führt an der Kontaktstelle zum langsamen Zurückweichen der weichen Gewebe durch ihr Zusammendrücken, sodass der Druck oder Zug die Beinhaut mit steigender Intensität zu reizen beginnt. Die Innervation der Beinhaut ist physiologisch nicht darauf eingestellt, auf kleiner Fläche eine steigende Druck- oder Zugstimulation zu ertragen. Diese zunehmende mechanische Reizung verursacht eine Abwehrreaktion – einen Schmerz, der den Organismus vor möglicher Beschädigung schützen soll.
Umgekehrt wird langzeitige mechanische Stimulation, die angemessen sowohl im Sinne der Kraft, als auch der Stimulierungsfläche erfolgt, sehr gut ertragen und führt in der Folge zur Aktivierung der osteoblastischen Zellen und somit zum Erstarken des Knochens.
Werden der Druckstimulierung mit den Fingern weiche Gewebe, meistens Muskeln, ausgesetzt, wird auch ihre Reaktion nach verhältnismäßig kurzer Zeit als unangenehm oder schmerzhaft empfunden. Die physiologische Einwirkung des mechanischen Druckes über eine kleine Fläche auf den Muskel verursacht eine allmähliche Ischemisierung der betroffenen Muskelfasern. Erfolgt jedoch die mechanische Stimulierung auf den Muskel über eine größere Fläche und einen genügend elastischen Separator, der imstande ist, die Ränder der eigentlichen Stimulierung zu „vernebeln“, passt sich der Muskel recht leicht an, sodass es weder zur Ischemisierung noch zu nachfolgender Schmerzentstehung kommt.
Die Durchführung der klassischen Stimulierung mit den Fingern ist durch die Zeit beschränkt, während der man die therapeutische Reizung ausführen kann. Dies ist innerhalb einer zweistelligen Sekundendauer bis zu maximal zwei Minuten möglich.
Ein beschränkender Faktor bei der klassischen Durchführung der Vojta-Methodik, den man nicht vernachlässigen sollte, sind die Hände der Therapeuten und auch die der Eltern, die zu Hause mit ihren Kindern üben. Langzeitiges Ausüben eines isometrischen Druckes oder Zuges mit den Fingern ist hinsichtlich der biomechanischen Konstruktion der Finger und der Hand unangemessen und führt oft zu Überlastungen und Folgeschäden, am häufigsten zur Entzündung der Hand- und Unterarmsehnen.
Der Einsatz elastischer Separatoren im Rahmen der VM2G hat sich bei uns sehr bewährt, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen: er beseitigt den Schmerz bei der Druck- und Zugstimulierung; er ermöglicht eine längere Durchführung der Stimulation; er schränkt die Überlastung der Hände von Therapeuten und Eltern ein; er ermöglicht eine schrittweise zeitliche und räumliche Intensivierung der Stimulierung; er ermöglicht eine problemlose Erhaltung der korrekten Vektoren der Stimulierungsdrücke und -züge.
Die bisherige Einhaltung der genauen Richtung der Stimulierung, nach der sich die klassische Durchführung der Vojta-Methodik richtet, wird wahrscheinlich nicht notwendig sein. Diese Situation illustrieren sehr gut die Ergebnisse der Diplomarbeit von Markéta Vodňanská mit dem Titel „Stimulierung der bei Reflexlokomotion benutzten Zonen mittels elektrischem Strom (TENS)“. 3 Ziel der Arbeit war, festzustellen, ob es bei Vojtas Reflexlokomotion, im konkreten Fall beim Reflexkriechen, bei Stimulierung der Startzonen mithilfe transkutaner elektrischer Neurostimulierung zur Aktivierung des entsprechenden Lokomotionsmusters kommt, wie dies bei manueller Stimulierung der Startzonen des Reflexkriechens geschieht. Die Ergebnisse haben bestätigt, dass sich das Lokomotionsmuster des Reflexkriechens, das sich bei manueller Stimulierung der Startzonen einstellt, auch bei der Stimulierung mit Strom (TENS) bei Verwendung gleicher Startzonen zeigt. Daraus folgt, dass der Wirkrichtungsvektor und der Druck bei manueller Stimulierung der Zonen nicht für das Auslösen des Lokomotionsmusters des Reflexkriechens notwendig sind. Weiter wurde festgestellt, dass es bei Stimulierung der Rumpfzone manuell und mithilfe von Strom (TENS) bei jedem Probanden in analoger Reihenfolge zur Aktivierung ausgewählter Muskeln kommt, bei der Stimulierung der Fersenzone die Aktivierungsreihenfolge aber ganz individuell ist.
1 PIAGET, Jean. Psychologie dítěte
(Psychologie des Kindes), Praha: Portál, 2010.
ISBN 978-80-7367-798-5
VODŇANSKÁ, Markéta. Stimulace zón používaných při reflexní lokomoci pomocí proudu TENS (Stimulierung der bei Reflexlokomotion benutzten Zonen mithilfe von Reizstrom – TENS). Praha, 2011. Diplomarbeit. Universita Karlova, FTVS. Leiter der Arbeit PhDr. Jitka Čemusová, Ph.D. Zugänglich auch bei: https://is.cuni.cz/webapps/zzp/detail/108129/